Samstag, 15. Mai 2010

Ein Kunde mit Tourrette Syndrom

Schon seit längerem konnten wir einen Mann beobachten, der mehrmals am Tag um unseren Laden schlich und mit grossen Augen zuschaute, wie Pierre Kiloweise Fleisch grillte. Er zeigte immer starkes Interesse, hielt aber stets gebührenden Abstand und kehrte auch nie bei uns ein. Leider bemerkten wir auch, dass unsere Kunden und die Nachbarschaft grossen Abstand zu diesem Mann hielten und ihm im Höchstfalle von weitem einen Gruss zukommen liessen. Wir konnten das alles gar nicht verstehen, der Mann war stets freundlich und auch sehr sympathisch.
Vor einigen Tagen, als kein weiterer Kunde im Laden war, kam der Mann plötzlich zu uns herein und bestellte sich freudestrahlend eine Menge Fleisch und andere Leckereien. Als ich das Essen servierte kam es aufgrund meiner mangelhaften Spanischkenntnisse zu einem höchst unangenehmen Zwischenfall, vor allem für den Kunden:

Er hatte mir wohl im Vorfeld mehrmals gesagt, dass ich ihm kein Messer bringen soll, ich verstand allerdings, dass er auf jeden Fall ein Messer haben wollte. Jeder Kunde bekommt bei uns natürlich ein Messer und da er darauf so vehement bestand, brachte ich ihm ein besonders Scharfes. Ein wirklich grober Fehler! Einige Minuten später kam Pierre gerade noch hinzu, als der Mann begann mit dem Messer auf seine Hand einzustechen. Pierre entriss ihm das Messer und nachdem der Kunde sich beruhigt hatte, klärte er uns über seinen Zustand auf.
Der Mann leidet unter dem Tourette Syndrom. Aufgrund dieser Erkrankung steht er unter dem Zwang sich, wenn er eines Messers habhaft wird, damit zu verletzen. Hier zu Lande ist Tourette völlig unbekannt und unter den Bewohnern gilt dieser Mann einfach als verrückt, gefährlich und von bösen Geistern besessen. Er erzählte uns, dass er immer schon so gerne bei uns essen wollte, er hatte aber Angst, dass er unsere restliche Kundschaft vergrault.

Da Pierre bei der jungendlichen Nachbarschaft sowieso schon die sexuelle Aufklärung übernommen hat und die Jungs sich mit ihren Fragen statt an ihre Eltern an Pierre wenden, wird er jetzt auch noch Botschafter für Tourette. Beim nächsten Bierfest wird er einen kleinen Vortrag halten. Ich bin mal gespannt, ob wir die Nachbarschaft nicht doch mit diesem wirklich netten Mann an einen Tisch bekommen!